Flipped classroom – dem Unterricht einen neuen Twist geben

Symbolbild Flipped Classroom

Peter Baier

Flipped learning, flipped classroom oder umgedrehter Unterricht sind Begriffe, um die man im Bildungssektor heutzutage nicht herum kommt. Hinter all diesen Begriffen steckt das gleiche Konzept, wobei der Name Programm ist: Der Unterricht wird tatsächlich umgedreht. Die Inputphase erfolgt zuhause, oft über Videos, die Präsenzphase wird danach dazu genutzt, um intensiv zu üben und zu diskutieren. Sinnvoll umgesetzt, steckt in dieser Methode großes Potential.

Entwicklung des Flipped Classroom

Wenngleich dieses Konzept durch den Prozess der Digitalisierung neuen Aufschwung erhalten hat, so handelt es sich keineswegs um eine völlig neue Idee. Bereits in den 1990er Jahren verwendete Eric Mazur, ein Professor an der Harvard Universität, Computerlektionen im Unterricht. In den 2000ern nimmt ein Mann namens Salman Khan regelmäßig Lernvideos auf, um seine Cousine beim Lernen zu unterstützen. 2008 gründet er die Khan Academy, eine Online-Plattform die kostenlose Lernvideos zu verschiedensten Bereichen anbietet (Bankhofer1).

LernvideosAls Erfinder der Methode des Flipped Classroom, wie man sie heute kennt, gelten Jonathan Bergmann und Aaron Sams. Die beiden Physik- und Chemielehrer aus den USA sahen sich mit dem Problem konfrontiert, dass an ihrer Schule viele SchülerInnen regelmäßig den Unterricht verpassten, weil sie diversen Sportvereinen angehörten und viel für Wettkämpfe unterwegs waren. Oftmals hatten sie dann Probleme dem Unterricht zu folgen, weil sie zu viel verpasst hatten. Die beiden Lehrer beschlossen Videos für ihre SchülerInnen aufzuzeichnen und ihnen diese zur Verfügung zu stellen. Mit dieser Methode waren sie sehr erfolgreich und der Flipped Classroom war geboren. Ihr Erfolgskonzept veröffentlichten die beiden 2012 in ihrem Buch Flip your Classroom.

Auch Österreich wird „flippig“

2016 gründeten Mag. (FH) Stefan Schmid und Mag. Josef Buchner „Flipped Classroom Austria“ und bringen damit eine Welle von „Flippigkeit“ nach Österreich. Ihr 2019 erschienenes Buch Flipped Classroom Austria (Buchner & Schmid, 2018) bietet einen guten Überblick über das Konzept des umgedrehten Unterrichts und bietet durch Beiträge von ExpertInnen aus dem In- und Ausland wertvolle Einblicke in die konkrete Umsetzung dieses Konzeptes im Unterricht.

Das Konzept

Frage - AntwortEin klassisches Unterrichtssetting sieht meist so aus: Die Lehrperson gibt Input oder möglicherweise wird dieser gemeinsam erarbeitet. Die Übungsphase erfolgt dann aber meist alleine, entweder in der Klasse oder als Hausübung. Beim Flipped Learning sind diese beiden Phasen umgedreht. Der Input wird alleine erarbeitet und die Zeit in der Klasse wird zur Verfestigung und Diskussion genutzt. Idealerweise bauen die Inhalte der Übungsphase auf denen der Inputphase auf oder sind eventuell ohne Inputphase gar nicht zu bewerkstelligen. Die SchülerInnen erleben sich dann im Klassenverband als Teil der Community, die gemeinsam am gleichen Problem arbeitet und dieses zu lösen versucht. Hier erklären Stefan Schmid und Josef Buchner wie Flipped Classroom funktioniert.

Eine wichtige Rolle spielt beim Flipped Learning die Art des Inputs, die in den meisten Fällen in Form eines Erklärvideos erfolgt. Vorweg gleich ein Tipp: Es ist heutzutage keineswegs mehr notwendig, sich zu allen Themen ein eigenes Erklärvideo zu erstellen. Das Internet ist bereits voll von vielen brauchbaren Videos, die man für seinen eigenen Unterricht verwenden kann. Sollten Sie sich aber dennoch dazu entscheiden, selbst ein Erklärvideo zu erstellen, so können Sie aus verschiedenen Arten auswählen (gereiht nach Komplexität):

  1. Vlogging-Stil
  2. Legetechnik
  3. Screencast
  4. Animationsfilm

Ein Erklärvideo selbst erstellen

Vlogging-Stil

Beim Vlogging-Stil brauchen Sie:

  • eine/n SprecherIn
  • ein Stativ
  • Kamera

Erklrvideo im Vlogging-StilDas Erstellen eines Vlogging Videos ist von allen Methoden wohl die einfachste. Alles was man dazu braucht, ist man selbst (oder eine/n SprecherIn) und eine Kamera. Sobald die Aufnahme läuft, beginnt man zu erklären. Man kann auch auf zusätzliche Hilfsmittel wie Tafeln oder Plakate zurückgreifen, auf die man beispielsweise einzelne Begriffe aufschreibt, oder man kann Dinge herzeigen und demonstrieren wie etwas funktioniert. Das Video, in dem Stefan Schmid und Josef Buchner das Prinzip des Flipped Classroom erklären ist ein Beispiel für ein Erklärvideo im Vlogging Stil.

Legetechnik

Bei der Legetechnik brauchen Sie:

  • weißen (oder neutralen) Untergrund (ein Tisch eignet sich gut)
  • zugeschnittene Wörter, Symbole oder Zeichnungen
  • Kamera und eventuell ein Stativ

LegetechnikWenn Sie die Legetechnik verwenden, dann filmen sie den neutralen Untergrund von oben und „legen“ die jeweiligen Wörter, Symbole oder Bilder ins Bild während Sie dazu sprechen und erklären. Nicht mehr benötigte Wörter, Bilder oder Symbole werden aus dem Bild geschoben oder gewischt und neue hineingelegt. Achten Sie drauf, dass dabei nur Ihre Hände zu sehen sind, nicht aber Sie selbst. Ein Beispiel finden Sie hier.

Screencast

Beim Screencast brauchen Sie:

  • Inhalte die Sie herzeigen wollen
  • ein Screencasting-Tool
  • ein Headset

ScreencastWenn Sie einen Screencast erstellen, dann bedeutet das, dass Sie ein Programm verwenden um Ihren Bildschirm am PC aufzuzeichnen. Ich verwende schon seit längerer Zeit das kostenlose Programm Screencast-o-Matic. Der Vorteil dieser Methode ist, dass man bei komplexeren Themen, beispielsweise um den SchülerInnen etwas am PC zu zeigen, wo sie hinklicken müssen etc., den ZuseherInnen sozusagen „vormacht“, was sie tun müssen und gleichzeitig einen Kommentar mittels Mikrofon aufnehmen kann. Ich habe diese Art des Erklärvideos beispielsweise schon öfter genutzt, um SchülerInnen im Rahmen eines Projektes zu erklären, wie sie in Word ein Plakat gestalten können. Ich habe auch ein Screencast-Erklärvideo erstellt, in welchem ich vorführe, wie Adobe Spark Video funktioniert. Sie können dieses Video hier ansehen.

Animationsfilm

Beim Animationsfilm brauchen Sie:

  • ein Script
  • das jeweilige Programm

AnimationsfilmWenn Sie Ihr Erklärvideo mittels Animationsfilm erstellen wollen, dann ist je nach Komplexität des verwendeten Programmes etwas Geschick gefragt. Mit dem kostenlosen Programm Adobe Spark Video lassen sich beispielsweise auf sehr einfache Art und Weise Bilder mit Text verbinden, zu einem Film verknüpfen und vertonen. Hier ein Beispiel zur englischen Grammatik. Das Ganze funktioniert so einfach und unkompliziert, dass ich regelmäßig auch meine SchülerInnen damit Filme erstellen lasse. Für mehr Komplexität und kreativen Freiraum empfehle ich PowToon. Mit diesem Tool lassen sich auch in der Gratis-Version tolle Animationsvideos erstellen. Man hat eine große Auswahl an Charakteren, Objekten und Hintergründen zur Verfügung und kann den erstellten Film selbstverständlich auch vertonen, indem man einen Kommentar dazu einspricht oder Hintergrundmusik auswählt. Hier ein Beispiel mit Musik.

Tipps zum Aufnehmen der Videos.

  1. In der Kürze liegt die Würze

Fassen Sie sich kurz und versuchen Sie, die 5-Minuten-Marke keineswegs zu überschreiten. (Besser sind sogar 3 Minuten)

  1. Split it up

Bei einem komplexen Thema kann es sich lohnen diese in mehrere aber dafür kürzere Videos aufzuteilen.

  1. Speak up

Stellen Sie sicher, dass Sie laut und deutlich sprechen, verhindern Sie Nebengeräusche (Läuten des Telefons etc.)

  1. Testrun

Machen Sie eine Probeaufnahme, um sicher zu gehen, dass alles klappt. Nichts ist ärgerlicher, als viel Energie in ein Video zu investieren und dann festzustellen, dass der Ton ausgeschaltet war.

  1. Say goodbye to perfection

Auch hier gilt: Das perfekte Erklärvideo gibt es nicht. Ein Erklärvideo ist etwas sehr Persönliches: Sie nehmen es für IHRE SchülerInnen auf. Machen Sie sich nicht verrückt! Auch im Unterricht vor der Klasse verspricht man sich mal oder muss sich räuspern. Ich finde, das darf auch in einem Erklärvideo passieren. Immerhin wollen wir effizient arbeiten und nicht wochenlang an einem Video feilen.

Video fertig – what now?

Erklärvideo verfügbar macheneilen. Wenn Sie Ihr Video auf YouTube hochladen, überlegen Sie sich: Wer soll mein Video sehen können?

  • Jede/r BesucherIn auf YouTube? Dann setzen Sie beim Hochladen die Privatsphäre auf „öffentlich“.
  • Nur ihre SchülerInnen? Dann setzen Sie die Privatsphäre auf „nicht gelistet“, sodass nur jene Personen, die den Link zum Video haben, dieses auch ansehen können.

Sehr ans Herz legen kann ich Ihnen auch TeacherTube, eine Videoplattform speziell für Erklärvideos zu den verschiedensten Themen.

Muss der Input immer mittels Video erfolgen?

TextKeineswegs! Wie Sie die Inputphase gestalten bleibt Ihnen überlassen. Sie können Ihre SchülerInnen auch einen Text als Vorbereitung lesen lassen und darauf aufbauen.

Videos eignen sich aber aus folgenden Gründen bestens:

  • SchülerInnen können Videos beliebig oft ansehen, pausieren, zurückspulen.
  • Sofern die Videos online zur Verfügung stehen, können SchülerInnen die Videos auch überall ansehen.
  • Videos sind persönlicher als Text.
  • Auch Texte kann man beliebig oft lesen, sie können online zur Verfüg stehen und durchaus persönlich geschrieben sein. ABER: Videos sind der Lebenswelt der aller-allermeisten SchülerInnen näher, auch wenn Sie als Lehrperson das womöglich nicht rasend glücklich macht! ?

Was passiert nach dem „Flip“?

Nachdem Sie ein Video aufgenommen oder eines ausgewählt haben, müssen Sie sich nun überlegen, wie Sie die Präsenzphase füllen wollen. Konzentrieren Sie sich dabei auf den Austausch mit den SchülerInnen und die Übung des Erlernten.

ZusammenarbeitBevor Sie mit den Übungen beginnen, sollten Sie den SchülerInnen die Möglichkeit geben, Fragen stellen zu können, falls Sie etwas nicht verstanden haben. Ich empfehle die Aufgaben in der Präsenzphase so zu wählen, dass die SchülerInnen zusammenarbeiten müssen und die Aufgaben sich nur lösen lassen, wenn das Video (oder anderer Input) angesehen wurde.

SchülerInnen die dies verabsäumt haben, können dies entweder in der Klasse nachholen (z.B. Video auf Handy ansehen) oder es sich von MitschülerInnen erklären lassen.

Mischen Sie die Aktivitäten gut durch (analog, digital, alleine, paarweise, in Gruppen) und trainieren Sie die verschiedenen skills (schreiben, lesen, hören, sprechen) und verschiedene taxonomische Niveaus.

Ihre Rolle in dieser Phase ist die eines Coaches; Sie leisten Hilfe, wenn nötig, die SchülerInnen arbeiten aber selbstständig.

Ein konkretes Beispiel zu easy

Miras Freunde mit Sätzen I am from ...
Lili Richter, Wien

In Unit 2 von easy 1 lernt Mira über die verschiedenen Länder und Nationalitäten.

Sie könnten beispielsweise ein Erklärvideo erstellen, in dem Sie die europäischen Länder vorstellen, z.B. im Vlogging Stil vor einer Europa-Landkarte. Die Länder haben Sie als Vorbereitung bereits auf bunte Zettel geschrieben. Sie deuten auf das jeweilige Land und halten den Zettel mit dem Land in die Kamera während Sie das Land sagen. Dies ließe sich auch beliebig erweitern, indem Sie, ähnlich wie bei der Legetechnik, ausgeschnittene Charaktere parat haben und Zettel mit den Nationalitäten. Sie könnten dann einen der vorbereiteten Charaktere vorstellen und in die Kamera halten: „This is Rita“. Dann sagen Sie, woher sie kommt und zeigen auf der Karte hin: „She is from Denmark.“ und nennen ihre Nationalität: „She is Danish“.

In der Präsenzphase könnten Sie dann mit den Übungen im Buch weitermachen oder noch zusätzlich spielerische Übungen und Aufgaben vorbereiten, in denen die SchülerInnen die Länder und Nationalitäten üben.

Probieren Sie es aus!

Ein Erklärvideo muss also keineswegs immer ein grammatikalisches Thema haben! Vokabeln können genauso eingeführt werden wie neue Textsorten oder Themen.

Ich ermutige Sie dazu, dieses Konzept einmal zu testen!

Beachten Sie aber: Flipped Classroom ist nicht nur ein gelungenes Erklärvideo. Mindestens genauso wichtig ist, was nach dem „Flip“ in der Klasse passiert.

Literatur:

  • Buchner, Josef und Stefan Schmid (2019). Flipped Classroom Austria: …und der Unterricht steht Kopf. Ikon: Brunn am Gebirge.

 1Bankhofer: adaptiert von: “Wie hat es begonnen: Flipped Classroom – das umgedrehte Klassenzimmer” by Alicia Bankhofer lizenziert unter CC-BY-SA 4.0

Arbeitet als AHS Lehrerin an einem Gymnasium in Salzburg und ist Fachdidaktikerin für Englisch an der Universität Salzburg. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten, digitale Tools im Unterricht, bietet sie in ganz Österreich Workshops und Vorträge an. digiteachit@gmail.com | https://www.digiteachit.wordpress.com

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