Im Lehrplan für die Mittelschulen [1], S. 11, wird Individualisierung gemeinsam mit Personalisierung und Differenzierung als Aufgabe der Schule beschrieben, um „(…) den Schülerinnen und Schülern die jeweils passenden Zugangsmöglichkeiten zu eröffnen, damit sie aktiv und zunehmend eigenständig ihre individuellen Leistungspotenziale und besonderen Begabungen entfalten können.“ Dabei wollen wir Individualisierung nicht im strengen Sinn als „the maximum form of differentiation“ (Eisenmann 2019 [2], S. 58) mit individuellen Anleitungen für jede einzelne Schüler/in auslegen, da dies im täglichen Unterrichtsgeschehen kaum umzusetzen ist. Stattdessen sehen wir uns Individualisierung durch Scaffolding genauer an:
Scaffolding als Unterstützungsangebot, das den Schüler/innen bereitgestellt wird und bei dem die Lernenden individuell entscheiden, ob sie es in Anspruch nehmen wollen oder nicht (Hallet 2013 [3], S. 10 und Eisenmann 2019, S. 58).
EIN Lernziel für ALLE
Scaffolding im wörtlichen Sinne ist ‚das Gerüst‘ und genau diese Funktion erfüllen Scaffolds oder Handlungshilfen auch im Fremdsprachenunterricht: Alle Schüler/innen sollen mit Hilfe verschiedener Scaffolds das Lernziel erreichen und eine offene oder auch komplexe kommunikative Aufgabe (Task) bewältigen können. Es geht nicht darum, komplexe Tasks leichter zu machen, sondern den Lernenden ausreichend Lernstimuli und Unterstützung zur Bewältigung der Tasks zur Verfügung zu stellen.
Welche Scaffolds finden wir in easy?
Beispiele zu allen Scaffolds aus easy 2 book:
Beispiel 1 (easy 2 book, S. 18 & 19)
Eine zentrale Form des Scaffolding stellt in easy die Einbettung aller Units und aller Impulse in die Storyline rund um Mira und ihre Freunde dar: dieses Setting und die Charaktere werden zu Beginn von easy 1 eingeführt, durchgehend visuell unterstützt und weiterentwickelt. So ist den Schüler/innen dieser Kontext in easy 2 bereits vertraut und sie können neuen Input dazu in Beziehung setzen:
Sowohl Input als auch die dazugehörigen Tasks sind in die Storyline eingebettet und bieten den Schüler/innen ein ‚Gerüst‘ und die Möglichkeit der Identifikation.
Beispiel 2 (easy 2 book, S. 51):
Sprachliche Mittel und modellhafte Äußerungen zählen zu den am häufigsten bereit gestellten Scaffolds für produktive und interaktive Tasks. Sie können eine mündliche Interaktion in Gruppen oder zu zweit erleichtern:
Die Scaffolds kann ich als Lehrer/in noch ausbauen, wenn ich die Schüler/innen zu mehr Sprachproduktion und einem breiteren Spektrum an sprachlichen Mitteln anregen möchte.
Beispiel 3 (easy 2 book, S. 53):
Pre-fabricated chunks spielen auch bei der Bewältigung von Writing tasks eine wichtige Rolle:
Für diese Schreibaufgabe erhalten die Schüler/innen zugleich Tipps (= how to-Strategien) als weiteres Scaffold zum Verfassen der Geschichte. Für Schüler/innen, die noch mehr Hilfestellung benötigen, können weitere sprachliche Mittel erarbeitet werden oder in Partnerarbeit (= Interaktion & Kollaboration) als Brainstorming angeregt werden. Das Scaffold in Form der Tipps kann ich um konkrete Beispiele ergänzen (How can you describe the scary forest? Which adverbs of manner could you use?), damit die Schüler/innen wissen, was gemeint ist.
Beispiel 4 (easy 2 book, S. 91):
Content points als Teil von Tasks geben den Schüler/innen eine inhaltliche Struktur und Reihenfolge für interaktive oder produktive Tasks vor:
In den Anleitungen wird auch Interaktion und Kollaboration angeregt, wodurch sich die Schüler/innen gegenseitig bei der Ideensuche, beim Entscheiden und beim Formulieren unterstützen können. Für diese Art lebensnaher Aufgaben bieten sich weitere Scaffolds an: z.B. als how to-Strategie die Internetrecherche (siehe easy how tos), um authentische Informationen zu bekommen, oder konkrete Vorgaben, wie die Informationen gesammelt werden sollen und das Ergebnis präsentiert werden soll (= Teil der Vorstrukturierung von Tasks).
Der Vorstrukturierung von Tasks kommt eine besondere Bedeutung zu: je komplexer die Aufgaben, desto wichtiger diese Form des Scaffolding.
Beispiel 5 (easy 2 book, S. 57):
Die detaillierte Vorstrukturierung einzelner Schritte macht den Schüler/innen den Ablauf des Schreibprozesses bewusst und was zu beachten ist. Sie enthält auch visuelle Elemente: Es werden weitere Ideen bildlich dargestellt und es wird eine Mindmap zur Ideensammlung angeregt.
Visuelle Unterstützung ist aber nicht nur für die Entwicklung der produktiven Kompetenzen nützlich, sondern stellt auch wichtiges Scaffolding bei den rezeptiven Kompetenzen Reading und Listening dar:
Beispiel 6 (easy 2 book, S. 100):
Bilder können mehrere Funktionen erfüllen:
- Sie schaffen einen situativen Kontext (hier: das Museum),
- sie aktivieren Vor- oder Weltwissen,
- sie erleichtern das Verstehen von Input (schriftlich oder mündlich) und
- sie können zugleich auch als Modell oder Impuls dienen für Beispiele, die die Schüler/innen dann selbst produzieren (hier z.B. die Verbotsschilder).
Die Beispiele zeigen, dass Scaffolds schon im Buch häufig in Kombination und nicht einzeln auftreten, dass ich aber als Lehrer/in noch weitere Scaffolds beisteuern kann und damit ein breiteres Unterstützungsangebot verfügbar mache, aus dem die Schüler/innen je nach Bedarf auswählen können.
Während die Schüler/innen eine kommunikative Aufgabe bearbeiten, spielt das Monitoring und das Feedback, das ich als Lehrer/in anbiete, noch eine weitere wichtige Form des Scaffolding dar.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal die Frage aufgreifen:
Wie funktioniert Individualisierung durch Scaffolding?
Die Individualisierung durch Scaffolding kann gelingen, wenn ich für alle Schüler/innen EIN Lernziel definiere, das sie durch die Bewältigung einer Aufgabe erreichen sollen, und verschiedene Formen des Scaffolding als Unterstützung zur Erreichung des Lernziels anbiete. Schüler/innen können Scaffolds heranziehen – oder auch nicht, wenn sie die Aufgabe bereits ohne Scaffolds bewältigen können.
[1] abrufbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/Bundesnormen/20007850/Lehrpl%c3%a4ne%20-%20Neue%20Mittelschulen%2c%20Fassung%20vom%2019.06.2020.pdf
[2] Eisenmann, M. (2019). Teaching English: Differentiation and Individualisation. Paderborn: Schöningh.
[3] Hallet, W. (2013). Die komplexe Kompetenzaufgabe. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch, 124, 2-11.